Auf dem Weg zu sicheren Nanomedikamenten
Winzige Partikel, die gegen Krebs wirken oder problemlos jede Grenzfläche innerhalb unseres Körpers durchdringen können, sind eine grosse Hoffnung für die Medizin. Was aber mit den Nanopartikeln im Gewebe passiert und ob sie am Ende gar selbst Krankheiten auslösen, ist noch kaum erforscht. Empa-Forscher haben innerhalb eines internationalen Konsortiums nun Richtlinien für die Nanomedizin erarbeitet, um sichere Nanopartikel entwickeln zu können.
Nanomaterialien für die Medizin zu nutzen, liegt im Trend, etwa in der Krebstherapie oder in der Diagnostik von Krankheiten. So werden Biomaterialien wie kleinste Fettbläschen, so genannte Liposomen, mit Medikamenten gegen Brustkrebs, Pankreaskrebs oder dem mit HIV assoziierten Kaposi-Sarkom beladen. Unter den anorganischen Nanomaterialien ist beispielsweise kolloidales Silber, das das Wachstum von Krankheitserregern hemmt, im Einsatz. Andere Nanoprodukte stimulieren das Immunsystem oder transportieren Eisen in den Körper. Die Winzigkeit der einzelnen Einheiten im Bereich von Millionstel Millimeter bedingt dabei gerade ihr Milliarden-Potenzial auf dem Weltmarkt.
Unternehmen beobachten die Lage
Künstlich hergestellte Nanomaterialien wie Gold-, Silber- oder Eisenoxidpartikel werden dabei heute immer komplexer. Gängige Vorschriften über den Umgang und das Risikopotenzial von Arzneimitteln greifen bei den Nanopartikeln jedoch kaum. «KMUs im Pharmabereich in der Schweiz beobachten derzeit die Entwicklung gespannt, um sie für neue Produkte nutzen zu können», sagt Peter Wick, Empa-Forscher und Koordinator des internationalen Konsortiums «GoNanoBioMat» aus Experten für Nanomaterialien und Risikoforschung. Mit dem Ziel, die Erforschung von sicheren medizinischen Nanopartikeln zu fördern, haben die Nanomaterialforscher vor kurzem Methoden und Richtlinien zur Risikoanalyse der winzigen Arzneimittel der Zukunft entwickelt.
Ihre Ergebnisse stellten die Forscher am Event «Welcome to the nanoscale: From science to health application» an der Empa-Akademie in Dübendorf einem Publikum aus Wissenschaft und Industrie vor. Hierbei wurden zudem neue Richtlinien für einen «Safe-by-design»-Ansatz zur Entwicklung medizinischer Nanopolymere präsentiert. Die Forscher haben hierzu Analysen und Wegleitungen entwickelt, die relevanten regulatorischen Vorgaben sowie Fallstudien aufgezeigt und in einer Publikation öffentlich verfügbar gemacht.
Gefördert wurde das Projekt unter anderem von der Schweizerischen Agentur für Innovationsförderung (Innosuisse). Die Wegleitung soll Unternehmen, aber auch Entscheidungsträgern in Forschungsförderung, Industrie und regulatorischen Gremien dazu dienen, etwa bei der Entwicklung neuer Arzneimittelsysteme informierte Entscheidungen treffen zu können. Dabei baut «GoNanoBioMat» auf den Grundlagen des CCMX-Projekts «Nanoscreen» auf, einer Initiative des ETH-Bereichs, das sich mit Sicherheitsanalysen von Nanomatrialien befasst und ebenfalls von der Empa koordiniert wird.
Zentral ist hierbei ein Vorgehen, mit dem sich medizinische Nanomaterialien bereits früh im Entwicklungsprozess entweder als vielversprechend oder als Risiko-behaftet identifizieren lassen. «Mit dem «Safe-by-design»-Konzept sollen kostspielige Forschungs- und Entwicklungsprozesse effizienter gestalten lassen», erklärt Wick. Während die Nanomaterialforscher zunächst das vorhandene Wissen aus den Bereichen Chemie, Biologie, Pharmakologie und Medizin für den Nanobereich massschneiderten, zeigten sich auch die kritischen Stellen bei der Entwicklung und Anwendung neuer nanomedizinischer Materialien: Schon allein die Zahl der Partikel in einer Lösung zu ermitteln, erweist sich als Hürde.
Denn je nach angewandter Methode ergeben sich unterschiedliche Konzentrationsangaben, die für ein weiteres Vorgehen entscheidend sein können, wie Forschungen an der Empa ergeben hatten. «Wir müssen die Methoden und Analysen von Nanopartikeln unbedingt auch auf globaler Ebene für Sicherheitsabklärungen im Entwicklungsprozess vereinheitlichen», sagt Wick. «Die Technologien werden bereits gebraucht, aber bisher fehlten entsprechende regulatorische Vorgaben», sagt Stefan Mühlebach von Vifor Pharma, der zum Experten-Beirat gehört und das «Safe-by-design»-Konzept unterstützt. Die Patientensicherheit wäre erst dann gegeben, wenn sich auf Basis des Konzepts nun ein globaler Standard entwickle.
Nano Technologie
Symbolbild by Pete Linforth from Pixabay
Unberechenbar klein
Gleiches gilt für Tests von Medikamentenkandidaten im weiteren Entwicklungsverlauf etwa bei Versuchen mit Zellkulturen. Um die Chancen und Risiken der Nanomedizin bewerten zu können, seien konkrete Standards unerlässlich. Diese Methoden und Standards müssen völlig neuartig sein, da sich Nanopartikel aufgrund ihrer verschwindend geringen Grösse möglicherweise völlig anders verhalten als herkömmliche Medikamente. Die kleinen Partikel dringen mit Leichtigkeit beim Einatmen durch die zarten Lungenbläschen ins Blut oder durch die Darmzellen aus dem Verdauungstrakt in den Körper. Sogar die Blut-Hirn-Schranke, die für viele Medikamente eine undurchdringbare Grenze darstellt, ist für die Nanoteilchen überwindbar.
Empa-Forscherin Claudia Hempt hat zu diesem Zweck ein Labormodell des Darms weiterentwickelt, mit dem sich die Aufnahme von Nanomaterialien durch die Auskleidung des Verdauungstrakts realitätsnah untersuchen lässt. Die Zellkulturen simulieren hierbei die Darmoberfläche und die für die Stoffaufnahme verantwortlichen Zelltypen. Wie gesund das Gewebe nach einer Behandlung mit Nanomaterialien ist und ob es weiterhin seine natürlichen Funktionen ausübt, oder ob schädliche Entzündungen entstehen, zeigt sich im Modell deutlich. Interessant sind derartige Analysen schon jetzt, da Nanomaterialien in der Lebensmittelindustrie eingesetzt werden, etwa als antimikrobielle Verpackungsbeschichtungen, Trennmittel oder Nahrungsergänzung.
Mit diesem Labortest kann nun aber auch die künftige Entwicklung medizinisch nutzbarer Nanopartikel unterstützt werden. Wie zukunftsweisend das neue Testverfahren ist, stellte sich zudem bei der erfolgreichen Zusammenarbeit mit einem Chemieunternehmen heraus. «Anhand unseres mehrzelligen Modells lässt sich die Wirkung von neuen Produkten beispielsweise auf Darmzellen untersuchen», erklärt Hempt. Unternehmen seien an Analysen interessiert, die man für die Entwicklung sicherer Produkte bis zur Marktreife benötige. Derartige Untersuchungen müssten die Wechselwirkungen wissenschaftlich korrekt mit allen entsprechenden Kontrollen darstellen, den neuesten Technologien entsprechen und ein Ersatz für Tierexperimente sein.
Nanoteilchen im Hirn
Dass weitere Forschung nötig ist, liegt jedoch an der noch weitgehend unerforschten Natur der Nanoteilchen. Noch ist nicht klar, wie sich die Partikel im Körper verhalten und mit Zellen und Geweben über eine längere Zeit interagieren. Interessant ist hierbei die sogenannte Corona, eine Hülle aus Eiweissen, mit denen der Körper die Partikel überzieht. Diese äusserste Oberfläche der Teilchen verändert sich möglicherweise je nach Aufenthaltsort des Nanomedikaments und beeinflusst seine Wirkungsweise. Ebenso müssen künstliche Materialien, die sich im Gehirn, der Wachstumsdrüse oder den Hoden nachweisen lassen, intensiv auf ihr Schadenspotenzial etwa für das Erbgut oder das Immunsystem untersucht werden, wie Peter Gehr, Professor Emeritus der Universität Bern, betonte. Und schliesslich müssen sich auch Risiken im Produktionsprozess, in der Auslieferung und der Haltbarkeit der Nanomedikamente identifizieren lassen.
Hilfreich bei der Beantwortung dieser Fragestellungen ist auch die Anlaufstelle contactpointnano.ch, die im vergangenen Jahr unter Federführung der Empa gegründet wurde. Hier wird das vorhandene wissenschaftliche und regulatorische Expertenwissen im Bereich der Nanotechnologie gebündelt, um Start-ups, KMUs und der Industrie den Zugang zur Forschung zu erleichtern und so die Entwicklung innovativer Anwendungen zu ermöglichen.
Quelle: Eidg. Materialprüfungs- und Forschungsanstalt EMPA
27.9.2019